The Scream, das Debütalbum von Siouxsie and the Banshees, gilt als eines der wichtigsten Alben der Post-Punk-Ära und hat die Musikwelt nachhaltig geprägt. Es wurde im August 1978 in den RAK Studios in London aufgenommen, einem renommierten Studio, das bereits von zahlreichen Künstlern genutzt wurde. Produziert wurde das Album von der Band selbst in enger Zusammenarbeit mit Steve Lillywhite, der zu dieser Zeit noch am Anfang seiner Karriere stand, später aber als Produzent von Bands wie U2, The Psychedelic Furs und Peter Gabriel weltberühmt wurde. Die vier Mitglieder der Band – Siouxsie Sioux (Gesang), John McKay (Gitarre und Saxophon), Steven Severin (Bass) und Kenny Morris (Schlagzeug) – entwickelten auf diesem Album einen unverwechselbaren Sound, der sich von den rauen Punk-Wurzeln ablöste und in experimentelle und düstere Klangwelten vordrang.
Der musikalische Stil von The Scream ist geprägt von einer Mischung aus Post-Punk, Gothic Rock, Art Punk und Experimental Rock. Die Songs wirken roh, kantig und oft bedrohlich, geprägt von hypnotischen Gitarrenriffs, aggressiven Rhythmen und der schneidenden, manchmal fast unheimlichen Stimme von Siouxsie Sioux. Der Klang des Albums erscheint fast minimalistisch, schafft es aber dennoch, eine dichte und beklemmende Atmosphäre zu erzeugen. Diese Elemente setzten neue Maßstäbe und sorgten dafür, dass das Album nicht nur bei der Punk-Bewegung Anklang fand, sondern auch in alternativen Kreisen als wegweisendes Werk gefeiert wurde.
Einige der Tracks auf The Scream stechen besonders hervor und zeigen die Vielseitigkeit der Band. Overground ist einer der bekanntesten Songs des Albums, getragen von einem repetitiven Rhythmus und einer wachsenden Intensität, die den Hörer in ihren Bann zieht. Metal Postcard (Mittageisen) ist ein weiteres Highlight, das auf den dadaistischen Künstler John Heartfield verweist, der für seine politischen Fotomontagen bekannt war. Der Song ist ein Paradebeispiel für den kunstvollen und intellektuellen Ansatz der Band. Ein weiteres wichtiges Stück ist Switch, der längste Track auf dem Album. Der Song wirkt fast manisch, bricht mit klassischen Songstrukturen und zeigt die experimentelle Seite der Band. Ebenfalls bemerkenswert sind Jigsaw Feeling, ein Song, der durch seine Nervosität und seinen drängenden Rhythmus auffällt, sowie Suburban Relapse, das mit seiner klanglichen Zerrissenheit das Bild eines psychischen Zusammenbruchs malt.
Das Album beginnt mit Pure, einem atmosphärischen Instrumentalstück, das mit seinen minimalistischen, hallenden Gitarren und unheimlichen Tönen eine beklemmende Stimmung schafft. Es wirkt fast wie ein Prolog, der den Hörer in die Welt von The Scream einführt und gleichzeitig die Erwartung an das Kommende schürt. Die Verwendung von schwebenden, verzerrten Gitarren und bedrohlichem Klangteppich zeigt früh die experimentelle Seite der Band.
Jigsaw Feeling, der zweite Track, ist ein Paradebeispiel für die Art und Weise, wie Siouxsie and the Banshees Chaos und Struktur miteinander verweben. Der Song handelt von der Zerrissenheit einer Persönlichkeit – „feeling like a part of me is missing“ –, und dieser Text wird durch die Musik perfekt widergespiegelt. Die unruhigen, abgehackten Gitarren von John McKay scheinen förmlich zu zucken, während das Schlagzeug von Kenny Morris eine treibende, fast nervöse Dynamik schafft. Siouxsie Sioux's eindringlicher Gesang, mal melodisch, mal schreiend, verstärkt dieses Gefühl der inneren Unruhe.
Der nächste Track, Overground, gehört zu den zentralen Stücken des Albums. Hier zeigt die Band ihre Fähigkeit, Spannung aufzubauen und diese in einem kontrollierten Crescendo explodieren zu lassen. Der Song beginnt mit einem schlichten, repetitiven Basslauf von Steven Severin, der langsam von der Gitarre und dem Schlagzeug umgarnt wird. Der Gesang von Siouxsie Sioux wirkt beinahe beschwörend, bis der Song schließlich an Intensität gewinnt. „Overground, underground…“ – diese Zeile hallt lange nach und steht sinnbildlich für das Verborgene, das sich ans Licht drängt.
Carcass, der vierte Song, ist aggressiver und punkiger in seiner Struktur, zeigt aber dennoch die Kunstfertigkeit der Band, selbst rohe Energie gezielt einzusetzen. Der Text behandelt auf groteske Weise das Thema Fleisch und Dekadenz – „Meat, meat, meat – carcass, carcass“ – und erzeugt eine makabre Atmosphäre, die durch die treibenden Riffs und den unnachgiebigen Rhythmus verstärkt wird. Siouxsie's Stimme bewegt sich zwischen Anklage und Abscheu, während die Instrumentierung beinahe bedrohlich wirkt.

The Scream
Listen ON:
Mit Helter Skelter liefert die Band eine düstere und unkonventionelle Interpretation des Beatles-Klassikers. Der Song verliert hier jeglichen Anflug von Verspieltheit und wird zu einer verstörenden, chaotischen Reise. Siouxsie Sioux lässt den Text wirken wie eine Beschwörung, während die Instrumente mit verzerrten, aggressiven Sounds eine apokalyptische Stimmung erzeugen. Diese Version zeigt eindrucksvoll, wie die Band bekannte Musik in etwas völlig Eigenes verwandeln konnte.
Mirage, der sechste Track, ist einer der direktesten und energiegeladensten Songs auf dem Album. Hier zeigt die Band ihren Punk-Ursprung, bleibt jedoch im Sound kontrollierter und rhythmischer. Siouxsie's Gesang wirkt spöttisch und provokativ, während John McKay mit seinen scharfen Gitarrenriffs und Kenny Morris‘ schnellem Schlagzeugspiel den Song antreiben.
Ein besonderes Highlight des Albums ist Metal Postcard (Mittageisen), das als Hommage an den dadaistischen Künstler John Heartfield entstand. Heartfields Kunst kritisierte auf subtile Weise den Nationalsozialismus, und dieser Song trägt die gleiche dystopische und kämpferische Energie in sich. Siouxsie Sioux's Stimme hat hier etwas Kaltes und Mechanisches, das perfekt zum Titel passt. Der Rhythmus erinnert fast an einen Marsch, verstärkt durch die klirrende Gitarre und den präzisen Bass von Steven Severin.
Nicotine Stain zeigt erneut die Fähigkeit der Band, einfache Themen – in diesem Fall eine fast obsessive Beschreibung von Nikotinsucht – musikalisch in eine düstere, klaustrophobische Atmosphäre zu verwandeln. Der Song ist dynamisch und treibend, die Gitarren fast bissig, während der Gesang von Siouxsie Sioux den Text in eine raue Hymne verwandelt.
Mit Suburban Relapse taucht die Band in das Thema des psychischen Zusammenbruchs ein. Der Song beginnt unscheinbar, wird aber schnell von chaotischen Ausbrüchen zerrissen, die die innere Zerrissenheit der Protagonistin widerspiegeln. Die unvorhersehbaren Wechsel zwischen ruhigeren Passagen und eruptiven Momenten machen den Song besonders fesselnd und verstörend.
Den Abschluss bildet Switch, der längste Song des Albums, der mit einer fast hypnotischen Struktur beginnt und sich langsam zu einem experimentellen Höhepunkt entwickelt. Hier zeigt sich die Band noch einmal von ihrer avantgardistischen Seite, indem sie die klassische Songstruktur sprengt und den Hörer auf eine klangliche Reise mitnimmt. Siouxsie Sioux's Stimme wirkt hier fast wie ein Instrument, das sich perfekt in die düsteren, schwebenden Klangschichten einfügt.
Auch das Cover des Albums ist erwähnenswert und trägt wesentlich zur düsteren und surrealen Ästhetik bei, die The Scream auszeichnet. Das von Rob O'Connor entworfene Artwork zeigt ein verzerrtes Gesicht, das von im Wasser schwebenden Händen umrahmt wird. Diese Darstellung erweckt den Eindruck von Isolation, Beklemmung und einem Untergehen in Unwirklichkeit – ein perfektes visuelles Pendant zu den unheimlichen, intensiven Klanglandschaften des Albums. Das Cover ist ebenso ikonisch geworden wie das Album selbst und spiegelt die emotionale und künstlerische Tiefe der Musik wider.
Mit The Scream schufen Siouxsie and the Banshees nicht nur ein Album, sondern ein Manifest, das die damalige Musiklandschaft revolutionierte. Es war ein radikaler Bruch mit den Klischees des Punk und eröffnete neue Möglichkeiten für experimentelle Musik. Die Band kombinierte rohe Energie mit künstlerischem Anspruch, was sie zu Vorreitern des Post-Punk machte. Der Einfluss des Albums reichte weit über seine Zeit hinaus und inspirierte unzählige Musiker und Bands der nachfolgenden Generationen, darunter Joy Division, The Cure und später sogar Künstler aus dem Bereich Alternative Rock und Gothic Rock. The Scream ist somit nicht nur ein Meilenstein in der Geschichte von Siouxsie and the Banshees, sondern auch ein Grundpfeiler der alternativen Musikbewegung, dessen Wirkung bis heute spürbar ist.


